Kann Gott böse sein?

25.04.2014 22:47

Im Dorf Ihei findet eine Beerdigung statt. Die ehrwürdige Alte, die auf den Berg der Urahnen getragen wird, muss vorher einige Male halt machen. Das erste mal am Ausgang ihres Hauses. Die Träger des Brettes, auf das sie gebunden ist, führen seltsame Bewegungen aus. Der Leichnam dreht sich in verschiedene Richtungen und hält plötzlich inne. Jeder weiß, was das zu bedeuten hat. Es wird der gesucht, der den Tod herbeigeführt hatte.

„Keine Angst, das ist alles halb so dramatisch,“ sagt mir Noel, ein Bekannter, der dabei steht, „man wird dem Schuldigen kein Leid zufügen. Das gehört einfach nur dazu.“ Man will einfach immer wissen,  was die Ursache des Todes ist.

Europäer sind manchmal empört und es werden auch schauerliche Geschichten von Hexenverfolgungen in Afrika erzählt. Das alles gibt es, es kommt aber bei weitem nicht an das heran, was in Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts unter dem Stichwort Hexenwahn passierte. Heute scheint das alles gebannt zu sein durch die Vernunft. Aber wer weiß, welche Glut unter der Asche, des unterkühlten Rationalismus noch schwelt?

Eigentlich steckt eine ganz konkrete Gottesfrage hinter dem ganzen. Woher kommt das Böse? Woher kommt das böseste, was man sich vorstellen kann, der Tod. Die Antwort, dass der Mensch und die Welt sich einfach abnutzt, befriedigt nicht alle. Sie klingt auch nicht sehr logisch. Denn wieso hat das, was Leben hervorbringt nicht die Kraft, Leben zu erhalten?

Woher kommt also dieses Böse, was am Ende den Tod produziert? Wenn man keine befriedigende Antwort findet, bleibt am Ende nichts anderes übrig, als zu sagen: Das Böse und der Tod kommen von Gott. Afrikaner haben eine andere Antwort gefunden. Bei ihnen kommt das Böse eindeutig von den Menschen. Es ist also folgerichtig, dass bei jedem Todesfall ein Übeltäter gesucht wird. Da nach ihren Verständnis nicht nur körperlich Gewalt ausgeübt werden kann, sondern auch spirituelle, kann man sich leicht vorstellen, wie einer den anderen das „Leben“ nimmt. Auch das ist etwas, das Europäer nicht wissen: Wir töten öfter, als wir denken.

Der Vorteil dieser Denkweise liegt auf der Hand: Afrikaner haben so eigentlich keine Probleme mit Gott. Das Böse kommt ja eindeutig von Menschen. Selbst im Todesfall, würden sie sich hüten Gott irgendeine Schuld zuzuschreiben. Bei Europäern scheint das anders zu sein. Und die Wirkungen sind desaströs:  Viele verlieren ihren  Glauben, wegen eines schweren Schicksals, wegen eines Sterbefalles oder auch einer unheibaren Krankheit.

Übrigens haben vile Europäer inzwischen auch keine Problem mehr mit Gott. Sie sind ebenfalls dazu übergegangen die Schuld bei den Menschen zu suchen. Und ihre Hexenjagden kommen mir manchmal viel grausamer vor als die afrikanischen. Wer hat das verschuldet? heißt die Frage, die Angesichts eines Unklückes überall laut wird. Dabei können kleinste Fehler oder Unterlassungen schon zu unbarmherzigen Verurteilungen führen. Und viele geben sich auch selber die Schuld und werden ihr Leben lang nicht mehr glücklich.

Welche Lösung ist eigentlich die bessere? Gott zu beschuldigen und zu riskieren, ihn dadurch zu verlieren? Oder den Menschen zu beschuldigen und vielleicht durch das Misstrauen gegenüber seinem Nächsten, tiefe Feindschaften zu erzeugen. Europäer können manchmal sehr naiv gegenüber dem Menschen sein. Afrikaner  gehen dagegen mitunter sehr oberflächlich mit Gott umgehen.

Die Bibel schlägt noch eine andere Lösung vor: Die Sünde und den Teufel. Der Heilige Paulus meint, durch den Neid des Teufels ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod. (Weish 2,24; Röm 5,12) Das halte ich für eine interessante theologische Lösung sowohl für Europäer als auch für Afrikaner. Es würde hier zu weit führen, die Frage zu beantworten, was der Teufel eigentlich ist. Thomas von Aquin sagt es wohl am klarsten: Er ist das Nichtsein während Gott das Sein ist. Auf jeden Fall: Er ist weder Gott noch  Mensch. Er ist nicht Gott, weil er, im Gegensatz zu dem, was einige glauben,  nicht allmächtig ist. Er kann eigentlich nicht töten oder Übel zufügen, ohne, dass Gott es gewährt (siehe Hiob 1). Wenn es anders wäre, würde man die Welt als großes Fußballspiel zwischen Gott und dem Teufel ansehen müssen, und er Ausgang ist noch ungewiss, eine Lehre, die die Kirche stets mit Recht abgelehnt hat. Der Teufel ist aber auch nicht mit einer menschlichen Person zu vergleichen, die die Freiheit hat zu handeln, zwischen Gut und Böse zu wählen und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann. Der Teufel benötigt so zusagen“ menschliches Fleisch“, um zu sündigen.  Hier in Afrika wird viel über Menschen-Esser gesprochen. Damit sind keine Kanibalen gemeint, sondern man denkt an Menschen, die sich von der Seele oder der Lebenskraft der anderen ernähren. In Europa könnte man das vielleicht ganz gut psychologisch erkären, was passiert, wenn einer krank wird, weil ein anderer ihn nicht liebt,  aber hier übersetzt das man ganz einfach mit Magier oder Hexer. Der Oberhexer ist für mich der Teufel, er ist es, der von der Lebenskraft der anderen lebt. Er ist das große Nichts, was nicht existieren würde, wenn es nicht das Sein gebe würde, er ist das Nichts, was alles Positive in sich hineinziehen will. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen sich dem Nichts verschreiben können. In Europa kennt man viele Arten der pessimistischen Lebensauffassung und Lebesweise. Das sind nicht nur die Satanisten, die in schwarzt rumlaufen und geheime Kulte betreiben, es sind vor allem Leute, die nicht glücklich sind und auch nicht wollen, dass andere es sind. Andere wollen so dominieren, dass sie ihren Mitmenschen keine Luft zum Atmen lassen, in Afrika nennt man das alles Hexer.

Kehren wir zurück zu der Frage, ob Gott böse sein kann. Angsichts des Leides, kann diese Frage nicht aus dem Weg geräumt werden. Manche sagen Ja und entfernen sich von Gott, den sie gern etwas freundlicher hätten. Andere sagen Nein und ein großes Mißtrauen gegenüber den Menschen macht sich breit, zuerst gegenüber  einzelnen, dann gegenüber der ganzen Menschheit.

Wenige sagen: Na und wenn? Bin ich Gott? Weiß ich wofür es gut ist? Muss ich nicht so manche Prüfung durchmachen, um zu wachsen, um gefestig zu werden in Glaube und Liebe? Muss ich nicht jeden Tag neu versuchen, seinen Willen zu erkennen, seinen wirklichen Willen?

Natürlich gibt es das Böse, es hat auch etwas mit Gott zu tun. Aber es kommt natürlich nicht von Gott. Es kommt vom Teufel, der ständig damit beschäftigt ist Sünde und Unheil in uns zu produzieren. Das Böse kommt nicht von Gott. Er lässt es zu. Das alles ist ein großes Geheimnis, am Ende unserer Tage werden wir es verstehen. Bis dahin leben wir im Vertrauen und wachsen im Glauben.