Das Baby dem der Arm fehlte

27.02.2014 22:19

Sie hatten dem Baby den Mädchennamen Françoise, Franziska  gegeben. Das passte gar nicht zu den Leuten, die eigentlich keine Christen waren und kaum französisch sprachen. Das Baby hatte einen Arm verloren. Ganz einfach so, nach einem Monat. Eine Stelle am Oberarm ist schwarz geworden und dann fiel der Arm ab. Die Frau mit den in kleinen Tresse-Zöpfen gelochtene Haaren, war Sophie, die Mutter. Sie hatte ihr Kind mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Das hilflose, etwas albernes Lachen, das sich auf ihrem Gesicht von Zeit zu Zeit erschien, könnte Gefühlslosigkeit bedeuten, oder auch Überforderung.  Wir fragten nach dem Vater. Er sei Schüler der 10. Klasse und könne nichts machen. Auch auch Sophie war Schülerin gewesen. Nun ist sie Mutter.

Wir schickten Sophie sofort ins Krankenhaus. Eigentlich hätten wir eine Eigenbeteiligung fordern müssen. Aber der Anblick der kleinen Franziska war so bemitleidenswert, dass es keine Frage gab. Im Krankenhaus wurde die Wunde geflickt.  Nach einer Woche waren sie schon wieder zurück im Dorf. Waren sie wirklich ordnungsgemäß entlassen worden? Alles schien gut zu gehen, bis sie wieder mal bei uns vorbei kamen. Die Mutte sagte erst, dass das Kind nicht gestillt werden wolle, dann stellten wir einen großen schwarzen Fleck auf dem Bauch fest, eine ähnliche Fäulnis vielleicht wie damals, als der Arm abgefallen war.

Auch jetzt überlegte ich nicht viel und ordnete an, ins Krankenhaus zu fahren, egal ob Geld da ist oder nicht Unterwegst kamen mir Zweifel. Wir handeln einfach zu schnell. Aber haben wir wirklich Zeit, wenn wir das Baby retten wollen? Ich lud Sophie mit ihrer Mutter und dem Baby an der nächsten Taxistation ab und gab ihnen etwa 30 €. Im Pfarrhaus hatten wir schon für das Kind gebetet. Ich sagte mir, es gehe mir um das Kind, nicht um die Eltern. Um die Eltern müssten wir uns später mal kümmern.

Abends schickte ich Abbé  Bernard, den Vikar in die Familie, mit seinen Sprachkenntnissen kann er besser die Situation erkennen. Er kam entrüstet zurück. Der Großvater lag schon halb besoffen unter einem Baum. Der Vater  des Françoises zeigte nicht besonders großes Interesse, und wiederholte nur dass er nichts machen kann. Alles machte einen ziemlich wüsten Eindruck. Über die Ursache der Krankheit waren sie sich schon fast einige. Einige meinten, ein Onkel sei der Hexer, bei einem anderen Hellseher hatten sie einen Nachbarn ausgemacht.  Am meisten ärgerte Bernard, dass kaum Dankbarkeit vorhanden zu sein schien. Er schärfte den Leuten ein: Morgen um 6 Uhr kommt eine Delegation ins Pfarrhaus, vielleicht  mit einem Geschenk und sagt dem Pfarrer „Danke“, für das, was er für euer Baby getan hat.

Am nächsten Tag gegen 8 Uhr erinnerten wir uns daran. Niemand war gekommen.

Das nächste Mal, als ich in Kara war, ging ich sofort ins Krankenhaus. Françoise lag auf einem Bett in der Kinderstation, Sophie  und der Großmutter saßen daneben. Die Ärztin meine es sein eine Entzündung auf grund der tiefen Wunde am Arm. Das Baby lag da, der Armstumpf säuberlich verbunden, am unteren Bauch etwas in der Blindarmgegend der verräterische schwarze Fleck. Der ganze Leib aufgedusen, wie ein Fußball gespannt. Am Tropf wird sie künstlich mit dem nötigsten versorgt. Eins ist sicher, wenn  Françoise  überlebt, wird sie noch einiges Schweres in seinem Leben zu tragen haben. An Gefahren für sein Leben wird es nicht fehlen. Und wie wird sie sich behaupten können als annormales Kind?

Wollen vielleicht die Eltern nicht mal wirklich, dass ihr Kind überlebt? Einmal sagt Sophie, es habe doch alles keinen Sinn, und sie wolle nach Hause, ein andermal meine sie das Geld sei alle. Sie bat aber auch nicht um mehr Geld. Wir haben schon über 100 € ausgegeben.Aber hier konnte ich nicht wegsehen. Es geht uns um das Kind, nicht um die Eltern.

Rein zufällig kam père Asamla, der Krankenhausseelsorger vorbei. Er war in beiger weißer Soutane gekleidet, und eine violette Stola angelegt. Er redete und betete fast an jedem Bett. Gemeinsam versuchten wir noch einmal Sophie alles zu erklären. Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes.  Sie scheint nun ein wenig zu verstehen. Mir kam es vor als habe sie kurz geweint. Wir segneten das Kind und gingen.

Die Mutter verriet uns einmal, warum sie ihrem Kind den Namen Franziska gegeben hat. Das war der Heiligenname, der im Kalender stand: Geburtsdatum 3. Dezember, Franz Xaver. Er ist der Jesuit, der größte Missionar aller Zeiten, wenn man die Kilometer berechnet, kam bis nach China kam, doch kurz vor den Toren Japans starb er.

Das Leben Françoise sollte kürzer sein, als das ihres Namenspatrones. Schon am Tag nachdem ich sie verlassen hatte, kam der Anruf aus dem Krankenhaus Kara-Tomdé: Das Kind ist tot. Wir waren gerade beim Mittagessen. Ich sagte einige Worte der Ermutigung und legte wieder auf.

Da der Sonntag vor der Tür stand, konnte ich mich nicht sehr um den weiteren Verlauf kümmern. Wie sind die Beiden Frauen mit dem toten Baby nach Solla zurück gekommen? Wurde das Kind beerdigt? Was passierte weiterhin im Haus? Ich wusste es nicht.

Einige Tage später saß Sophie plötzlich in der Warte-Ecke im Pfarrhaus, als ich nach Hause kam. Sie lächelte verleben. Daran erkannte ich sie, obwohl sie ihren Kopf rasiert hatte. Dort wo sie sich früher mit einer  Vielzahl von Tresse-Zöpfen schmückte hatte sie ein schlichtes Tuch gebunden. Neben ihr saß eine Alte, die ich gut kannte: Mama Christine, eine Frau, die kaum noch laufen kann, aber keine Messe ausläßt, eine heroische Christin. „Das ist meine Tante, wusstest du das nicht?“ Sagte Sohpie. Das war mir wirklich nicht bekannt. „Wo ist den Mann?“ fragte ich. Sophie machte eine lässige Handbewegung: „Ich wohne jetzt wieder bei Mama Christine.“  Ich kann mir vorstellen, was passiert ist im Haus des Schülers, der Vater ihres Kindes…

„Danke“ sagte Sophie dann noch einmal. „Und wusstest du das nicht. Ich war immer schon ein wenig in der Kirche. Kann ich nicht getauft werden?“ Ich antwortete abweichend. 3 lange Jahre Taufkatechese verlangt die Kirche. Das stellt für viele eine Hürde da. „Sophie, ich glaube, du musst noch viel lernen. Aber weißt du was, ich fand das toll, dass du letzten Freitag, nicht mit mir zurück gefahren bist. Du hast bis zuletzt gekämpft um dein Kind. Das ist jetzt in dein Herz geschrieben.“

Danach verlangte sie noch Weihrauch, gegen die bösen Geister. Ich holte ihn. Nun muss er noch gesegnet werden. Ich zündete eine Kerze an und begann zu beten. „Herr, wir empfehlen dir unsere kleine Tochter Françoise. Du hast sie zu dir gerufen, dein Wille geschehe, auch wenn wir ihn nicht verstehen. Schenk ihr das Ewige Leben und laß uns sie einst wiedersehen…“ Ich sah wie sich Sophie Kopf senkte und mit der Hand ihr Gesicht verhüllte. Hörte ich nicht ein stilles Weinen? „Herr, so segne nun diesen Weihrauch. Möge der Duft der Heiligkeit und des Lebens sich verbreiten, dort wo er im Glauben zum Himmel steigt und allen Geruch des Todes vertreiben. Amen.“