Das Itchombi-Fest in Solla - Parc national oder lebendige Kultur

14.04.2014 22:55

„Der Teufel hat mir eine Falle gestellt“, sagte Albert, als ich ihn eine Woche nach dem Itchombi-Ritual zu einem Gespräch einlud. Mit 25 Jahren hatte er neulich am Beschneidungsfest teilgenommen, das für alle Männer des Meyope-Volkes Pflicht ist.

Ich weiß nicht, ob es gut ist über Itchombi zu schreiben, man könnte meinen ich hätte etwas gegen das Volk, was mich großzügig aufgehomen hat und wo ich mich zu Hause fühle. Aber ich muss es versuchen. Ich selbst möchte meinen Standpunkt finden, auch als Christ und Mensch der von außen herein kommt. Und ich möchte auch anderen helfen, afrikanische Kultur und Religion nicht naif zu betrachen sondern in ihrer Vielschichtigkeit und mit all ihren Höhen und Tiefen.  

Itchombi, das ist erst einmal ein großer Karneval, der alle 2 Jahre wiederkehrt und das die Meyope-Leute aus aller Herren Länder zusammenführt. In  2 Wochen wird ein Pensum von Riten, Opferungen und Tänze absolviert in verschiedenen Verkleidungen bis hin zu fast ganz nackt. Am letzten Tag kommt dann die öffentliche Beschneidung.  

Früher sah ich es als interessant an, und staunte, was es nicht für seltsame Riten gibt und wie jedes Volk seine eigene Kultur hat, wo andere nicht reinreden dürfen. Bis heute glaube ich noch daran, dass dies doch  eigentlich Touristen anziehen müsse. Aber nach 10 Jahren Togo kommt bei mir immer mehr die Nüchternheit durch.  Vielleicht, weil ich langsam Einheimischer geworden bin und mich frage, was würde ich machen, wenn das meine Kultur wäre? Ich Deutschland habe ich ja auch nicht immer alles mitgemacht, was „man“ so gerade tun  sollte.

Ich versuche nicht nur das Exotische zu sehen, sondern wirklich die Zeichen wahrzunehmen und zu deuten. Am zweiten Tag des Festes  werden z.B. die Messer geschärft. Jeder Kandidat tanzt vor den Messern. Zu seiner Seite bewegt sich der Begleiter, sein älterer Brude, der taktische Ratschläge gibt. Hinter den Messern sitzen die Beschneider. Der Utchombi, der Kandidat setzt einen herausvordernden Blick auf und versucht jeden Schritt wohlbedacht zu setzen, als ob es um einen Taktik geht, die Beschneider versuchen keine Miene zu verziehen. Es wirkt wie ein Kampf, bei dem keiner Schwäche zeigen will. Der Utchombi von Schweiß überströmt hält ein Huhn in der Hand, dem langsam die Kehle zugedrückt wird. Es ist eine Opferung, zur Weihe der Messer. Ich frage mich was die Menschen sagen würde, wenn wir in der Kirche Messer zur Schau stellen würden. „Bischof segnet Waffen“ hieß einmal eine Zeile über einem Zeitungs-Bild, auf dem wirklich etwas zu sehen war, was diesen  Eindruck erwecken konnte. Der Skandal war perfekt, auch weil keiner so etwas bei einem Christen akzeptieren würde. Hier bei Itchombi erinnert fast alles irgendwie an Krieg, auch der Stolz in den Augen der Tänzer. Jeder Utschombi wird wie ein kleiner König gefeiert. Eine Schar von Mädchen trägt ihm alles hinterher. Vor dem Tanz wird ihm zum Ausruhen ein Stuhl hingestellt, das Essen wird ihm gebracht und auch das Trinken. Es gehört auch zu den Gepflogenheiten, dass der Utchombi alle verachtet, die keine Beschneidung gemacht haben. Diese haben nicht das Recht im Kreis der Beschnittenen  das Wort zu ergreifen oder bei öffentlichen Feierlichkeiten mit ihnen zu Essen. Es geht hier um Rangordnung. Ich stelle mir vor, dass ich meinen Firmlingen Stolz oder die Verachtung der Nichtgefirmten lehren würde. In der Kirche hat jede Weihe und jedes Sakrament etwas mit Demut und der Ehrfurcht vor Gott zu tun.  

Am vorletzten Tag wird es dann richtig wild. Nachdem die Jungs sich am Morgen als Mädchen verkleidet haben, um, wie ich vermute nun von allem weiblichen und Umgang mit „Weibern“ Abschied zu nehmen, werden am Abend die Tierhäute umgebunden und der richtige Kriegstanz beginnt. Die Staubwolke steigt bis zu den Baumwipfeln hinauf, schon dar Rhythmus flöst Furcht ein. Bis in die Nacht hinein wird dann noch geopfert, um Mut zu haben und den Feind  abzuwehren. Die spirituelle Kriegsführung ist wichtiger als alles.

Am Tag der Beschneidung bin ich nicht hingegangen. Ich wollte mir das einfach nicht antun, ich bin kein Tourist, der mit seinem Fotoapparat kommt und Oh und Ah ruft, und „Sieh doch mal an, was es nicht alles gibt.“ Ich sehe „mein Volk“,  dass eine bestimmte Vorstellung vom Leben und seinem Sinn zum Ausdruck bringt. Natürlich es gehört wohl Mut dazu, sich bei lebendigem Leibe die Vorhaut abschneiden zu lassen. Aber es gehört auch Mut dazu in Afrika bis zur 13. Klasse in die Schule zu gehen, ohne eine Aussicht auf einen Beruf zu haben. Die meisten hier haben diesen Mut nicht, sie hat die Armut nach Nigeria getrieben, sie haben dort fast zwei Jahre hart gearbeiten, unter einer Art Fronpächter, und sie kommen nun in ihre Heimat und wollen nach so langer Zeit Entfremdung und Entwurzelung wieder mal echte Solla sein, sie wollen einfach feiern und verrückt sein. Den Mut am Ende zur Beschneidung zu haben helften ihnen spezielle Getränge und Hautaufträge, die in Deutschland vielleicht unter das Drogengesetz fallen würden.

Was mich bei der Beschneidung stört ist nicht nur dass schon wieder Blut fließt. Ohne Blut scheint es bei dieser „Volks“-religion nicht zu gehen. Blut fließen lassen hat seine Bedeutung. Sich selbst ein Leid zufügen hat auch seine Bedeutung. Ich glaube im Christlichen Glauben wird nie verlangt, dass man sich selbst Leid zufügt. Das Leid eines jeden Tages mutig anzunehmen reicht aus. Gott selbst entscheidet, wieviel Mutproben du in deinem Leben brauchst, um zu wachsen.

Was mich stört, ist ehrlich gesat das Gekreische der Mädchen. Wieso müssen bei einer Beschneidung Zuschauer dabei sein? Geht es hier um einen religiösen Akt, um eine Mutprobe unter fachmännischer Aufsicht oder um ein Spektakel. Normalerweise haben afrikanische Menschen auch ein Gefühl für Intimität. Deswegen denke ich eher, dass es sich hier, um Verfallserscheinungen der traditionellen Afrikanischen Religion handelt. So wie früher die Utchombis nicht mit dem Motorrad fahren, keine Taschenlampen benutzen und Musik nicht mit dem DVD-Player und Verstärker machen durften, was sie heute alles tun. So gab es früher, wohl auch die Beschneidung beim Beschneider und das Fest mit dem Gekreische und großem Tanz anschließend draußen, so wie es z.B. 1890 in einem Bericht über die Ewe aufgezeigt wurde, auch dort galt Beschneidung als Erwachsenwerden und Kriegerweihe.

Ist das Religion, was uns hier bei dem Itchombi-Fest gezeigt wird? Ich würde es eher als das Treibgut alter ehrwürdiger Kulte bezeichnen, aus einer Zeit wo weise Alte über ihre Reinheit gewacht hatten und wo es noch keinen Alkohol gabe, der den Sinn vernebelt. Hier sehe ich übrigens auch einen großen Unterschied zwischen meinem Glauben und der afrikanischen „Volks“-Religion, wie sie heute in weiten Teilen praktiziert wird: Bei der katholischen Messe werden angetrunkene Personen hinausgeworfen. Hier dagegen, scheit der Schnapps und des Tschukbier fester Bestandteil zu sein.

Was hier verehrt wird sind nicht mehr so sehr die Urahnen, sondern, die Götter, die man sich selber macht Alkohol, Geld, Eitelkeit und Sex, denn es versteht sich von selbst, dass die jungen Mädchen, zu diesem Feste alle ihre Reize spielen lassen. Und nach dem Fest genieren sich viele der Beschnittenen nicht, auf den Straßen von Solla ihr durch einen Verband verlängertes „Ding“ provokatif hervorstehen zu lassen. Ein genüssliches Lächeln darf da nicht fehlen. Dass zu Itchombi AIDS häufige Übertragung stattfindet, wird immer wieder gesagt, aber wenig gehört.

Warum kann ich Itchombi nicht unterstützen? Weil ich Europäer bin? Ich hatte es schon gesagt : Wäre ich wirklich nur Europäer, würde ich meinen Fotoapparat rausholen, alles Knipsen und froh mit nach Hause tragen. Ich würde Solla als eine Art Parc National betrachten, ein Reservat wo eine bedrohte Rasse zu besichtigen ist, die geschützt werden soll für wissenschaftliche Zwecke, die aber nicht das Recht hat, über ihren eigenen Weg als Volk nachzudenken, sich weiterzuentwickeln und eine lebendige Kultur, eine Kultur des Leben und des Friedens zu werden.

Der Teufel hat mir eine Falle gestellt, sagte Albert, als ich ihn, einen getauften Christen,  nach dem Itchombi-Ritual zur Rede stellte und er wohl meine Reue zeigen zu müssen. Ein anderer sagte, vielleicht etwas ehrlicher: Wenn ich es nicht gemacht hätte, dann wäre ich der gewesen, der das Unheil über die Familie gebracht hat, beim nächsten Sterbefall, wäre der Verdacht auf mich gefallen.

Nocheinmal frage ich: Warum schreibe ich das alles? Ich muss sagen, ich bin immer wieder tief bewegt und aufgewühlt, wenn ich das alles erlebe, was sich beim Itchombifest abspielt. Ich lasse mich anfragen, nehme mir aber auch die Freiheit heraus, abzulehnen. Schaue ich deswegen auf afrikanische Kultur herab? Es geht wohl gar nicht um Afrika. Die Kultur dieses Kontinentes lässt sich nicht auf ein paar ethnologisch oder religionsgeschichtlich interessante Riten reduzieren. Sie besitzt vielfältige Ausdrucksformen, sie zeigt sich im Leben, in Gebruauchs-Kunst und Musik und in den normalen Begegnungen des Alltags. Nicht überall dominieren martialische, gewalttätige und blutige Rituale. Nicht überall wird psychologischer Druck ausgeübt. Dies gibt es wohl überall auf der Welt in den verschiedenen Subkulturen. Oft sind sie mit einer gewissen Musikrichtung verbunden. Das Christentum steht dem gegenüber oft da wie arm und kraftlos, weil es an Lautstärke und vielleicht  Wille zur Macht fehlt. Aber gerade das finde ich schön. Wir, als Christen haben noch die Chance eine Religion der Liebe zu werden. Gleichen wir uns nicht dieser Welt an. Wohlgemerkt: Auch bei uns wird es nicht ohne „Mutproben“ gehen. Immer wieder wird auch Blut fließen. Aber es sind nicht wir, die dazu die Messer gesegnet haben.