Andeline

15.12.2014 22:11

Andeline

 

Ich habe ihr auf deutsch den Namen Andeline gegeben. Vielleicht weil der Name etwas fremd klingt und gleichzeitig etwas von Originalität hat. Auf Französisch heißt sie natürlich Adèline oder Adèle. Aber an Adel und Vornehmheit denken ich bei ihr erst einmal nicht.

Das etwa 16jährige sehr kleinwüchsiges Mädchen kam eines Freitags im Dezember mit einem ungewaschenen T-Shirt bei uns im Pfarrhaus an und überhaupt ihr ganzer Körper von den staubigen Füßen bis zum ungeschorenen verfilzten Kopf strotzte vor Dreck. Sie ist arm, treibt sich seit Tagen auf dem Marktplatz herum und weiß nicht wo sie hingehört.

Sollen wir ihr Geld geben? Sie braucht vielmehr einen Menschen, der sie liebevoll bei der Hand nimmt und ihr sagt, dass sie nicht stehlen soll und dass sie bei guten Leuten um Hilfe bitten kann, dass es diese gibt und dass nicht alle sie schlagen, weil sie klaute. Andelines Vater ist tot, ihre Mutter hat sie verlassen. Sie hat in Dorf Kukule noch Onkels und Tanten, aber seit dem bekannt wurde, dass sie "die Teufel" hat, haben alle Angst. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, dass sie klaut oder dass sie Unheil bringt. Auf jeden Fall spricht Felix Pim, der einzige Sozialarbeiter der Region, immer mit großer Scheu von diesen bösen Geistern, er nennt sie lieber „Freunde“, damit bei zufälligen Zuhörern keine Panik entsteht. „Nicht wahr, deine Freunde waren wieder da? Was haben sie gesagt? Wo hast du sie getroffen?“

Eines Morgen kam sie mit 4 Papaya in ihrem Tuch versteckt in die Pfarrei und setzte sich still in den Eingangsbereich. Als die Köchin sie dann ohne Erlaubnis in ihrem Zimmer fand, fing ein großes Geschreie an und das Mädchen wurde ordentlich mit dem Palmenwedelbesen durchgeprügelt. „Was suchst du in den Zimmern?“ fragte ich später. – „Ich hatte Hunger.“ Dann steckte man sie in den Pfarrsaal. Der Sozialarbeiter wurde gerufen, er konnte nicht gleich kommen, seit drei Tagen verspricht er, Andeline ins Dorf zu ihren Onkels zurück zu bringen. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie gerade dort so geschlagen wurde, dass ihre Hand heute noch schmerzt - die Strafe für Diebe.

Nun liegt sie auf der Steinbank im Pfarrsaal, mit ihrem Tuch zugedeckt, neben dem Kopf die Papayas, die Tür ist verriegelt. Andeline ist nie zur Schule gegangen. Ihre Eltern nahmen sie mit nach Nigeria, um Geld zu verdienen. Jeden Tag ab 5.30 Uhr ging's aufs Feld. Das Feld ist besser als die Schule, da lernt man was fürs Leben. Schon damals wurd viel geschimpft. Liebte sie ihre Mutter wirklich? Wieso wurde gesagt, dass sie am Tod des Vaters schuld ist? Draußen hört sie den Lärm des Pfarrhauses. Drinnen antwortet keiner auf ihre Fragen.

In solchen Zeiten kommen dann die Teufel und reden mit ihr. Sie sind es angeblich, die ihr das Klauen befehlen. Danach teilen sie dann alles unter sich auf, manchmal feiern sie ein kleines Fest. Andeline muss lachen, wenn sie sie so tanzen sieht. Die Teufel sind im Moment wohl die einzigen Freunde des kleinen Mädchens und es wird wohl noch lange so bleiben...

Wir haben uns auf ein Abenteuer eingelassen. Kurz vor Weihnachten. Wird es ein normales Weihnachten werden? Oder ein besonderes?

 

Zwei Monate war schließlich Andeline im Pfarrhaus in Solla, es waren spannende Tage. Ich habe ein Tagebuch darüber geschrieben. Wer es lesen möchte möge sich bei mir melden.